Chinese fundamental rights jurisprudence: constitutional development under one-party rule
Das Projekt zielt auf eine Analyse der Konstitutionalismus-Debatte in China unter Berücksichtigung der praktischen Rechtsanwendung durch chinesische Gerichte im Bereich des Schutzes von Grundrechten, die in der chinesischen Verfassung vorgesehen sind.
Es ist in den letzten Jahren die Ansicht vertreten worden, die seit Ende der 1990er Jahre verstärkt vertretene liberale Lesart der Verfassung beruhe auf westlicher ideologischer Hegemonie. Die momentane chinesische Debatte und ihre Aufnahme im Westen berücksichtigt aber nicht ausreichend die facettenreiche Rechtsanwendungspraxis.
Die Schule des »political constitutionalism« beschäftigt sich vorrangig mit den politischen Voraussetzungen der Verfassung im Ein-Parteien-Staat, während sich die Schule des »legal constitutionalism« vor allem um die juristische Auslegung der Verfassung bemüht. Eine Judizialisierung der Verfassung, die Gerichten erlaubt, eine aktive Rolle in der Verfassungsauslegung einzunehmen, wird von den Vertretern des »political constitutionalism« abgelehnt; das gilt vor allem für die Annahme, dass Gerichte als höchste Hüter der Verfassung fungieren sollten. Abwehrrechte gegen den Staat werden von Seiten des »political constitutionalism« vor allem im Hinblick auf Rechtsverletzungen durch individuelle Amtsträger erwogen, weniger im Hinblick auf Rechtsverletzungen durch Staatsorgane als solche.
Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass Gerichte keine Rolle in der Auslegung der chinesischen Verfassung spielen, werden im Rahmen des Forschungsprojekts gerade die Rechtsprechungspraxis zum Anlass und Ausgangspunkt genommen, um die verfassungsrechtliche Debatte zu analysieren.
Mit Hilfe einer seit 2015 zugänglichen umfangreichen Urteilsdatenbank, die eine Volltextsuche ermöglicht, werden vor allem Entscheidungen, die die Verfassung direkt anwenden, ausfindig gemacht, um so
die Debatte über chinesischen Konstitutionalismus mit der Grundrechtsrechtsprechung verbinden zu können und einen theoretischen Rahmen zu erarbeiten, der neben den Theorien der verschiedenen konstitutionellen Schulen auch die Gerichtspraxis berücksichtigt. Die Analyse der einschlägigen Urteile, Gesetzgebung und sonstiger staatlicher und Partei-Dokumente wird durch Experteninterviews mit Richtern und Wissenschaftlern ergänzt.
Als Ergebnis wird angestrebt, Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Effektivität der Verfassung zu ziehen und die Argumente der verschiedenen Konstitutionalismusschulen einer Neubewertung im Licht der gerichtlichen Praxis zu unterziehen.