Das essende Subjekt: Eine Geschichte des Politischen in den USA vom 19. bis zum 21. Jahrhundert
Gegenstand dieses Forschungsprojekts ist die Geschichte des Essens, des Dickseins, der Gesundheit und ihrer Regulierungen in den USA seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Essen und Adipositas sind deshalb ergiebige Phänomene für die historische Analyse, weil sie in das Zentrum moderner, liberaler Gesellschaftsordnung hineinführen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts avancierte ein leistungsfähiger Körper mehr und mehr zum Ziel und Ausdruck verantwortungsbewussten Handelns. Die Fähigkeiten der Individuen, als liberale Subjekte zu funktionieren, und der Erfolg der freiheitlichen Ordnung als Ganzes schienen zunehmend an deren Körpern ablesbar. Übergewichtige Menschen wurden vor diesem Hintergrund als problematisch erachtet, und Diät-, Fasten- und Fitnessbewegungen entstanden. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an bis in die Gegenwart sind Problematisierungen von Ernährung, Gesundheit und Fitness äußerst virulent, und sie kreisen immer auch um die Befähigungen der Menschen als selbstregulierte, rationale Subjekte und somit um ein Grundprinzip moderner, liberaler Gesellschaftsordnung.
Im Rahmen des Projekts wird dieser Zeitraum anhand von drei Fragekomplexen untersucht:
Erstens werden Essen und Ernährung als zentrale Kraft in der Formierung und Regulierung von modernen Gesellschaften und entsprechenden Subjektivitäten analysiert. Dabei werden insbesondere die Spannungen und diejenigen kritischen Momente untersucht, in welchen Selbstführung und eine Subjektbildung, die als „erfolgreich“ erachtet werden, an ihre Grenzen stoßen.
Zweitens wird herausgearbeitet, wie Ernährung mit soziokulturellen Differenzierungen entlang von Kategorien wie „race, class, gender“ korrespondierte und so Unterschiede zwischen Menschen fest- und fortgeschrieben wurden. Welche Wechselverhältnisse zwischen Armut, rassischer Kategorisierung und Übergewicht haben sich etabliert?
Wie wurden bestimmte Ethnizitäten mit bestimmten Esskulturen assoziiert und wie schlug sich dies in der Gestaltung soziokultureller Ordnungen nieder?
Drittens werden Betrachtungen von Diskursen, von Institutionalisierungen sowie von Handlungs- und Denkweisen konkreter historischer Akteurinnen und Akteure miteinander verschränkt, um die Wirkmächtigkeiten der Essens- und Körperdiskurse im Leben von Menschen herauszuarbeiten. Wie verhielten sich die Subjekte zu den Diskursen und politischen Forderungen nach gesunder Ernährung und Fitness? Wie positionierten sie sich zwischen den Versprechen der Konsumwelt, maximale Zufriedenheit durch möglichst umfassenden Konsum erreichen zu können, und der Forderung, verantwortungsbewusst den eigenen Körper zu pflegen und zu versorgen?
Die Breite des Forschungsgegenstandes und die Länge des Untersuchungszeitraumes machen eine Aufgliederung in zwei Teilprojekte notwendig. Das erste Teilprojekt erstreckt sich von den 1850er bis zu den 1950er Jahren, das zweite von den 1930er Jahren bis zur Gegenwart. In den zwei Teilprojekten wird untersucht, wie sich Vorstellungen von gesunden und ungesunden Lebensführungen und Ernährungsweisen veränderten und wie Menschen diesbezüglich handelten, d.h. wie Menschen die Beschaffenheit ihrer Körper mit ihrem Essverhalten, ihrem Gesundheits- und Schönheitsempfinden verknüpften und welchen Handlungsbedarf sie daraus ableiteten.