Der philosophische Menschenrechtsdiskurs der Gegenwart in der VR China
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Argumente und Hintergrundtheorien, welche die gegenwärtige chinesische Philosophie der Menschenrechte nach 1989 bestimmen, näher in den Blick zu nehmen.
Seit dem Ende des 19. Jahrhundert wurde der Menschenrechtsgedanke immer wieder von der chinesischen gelehrten Welt aufgegriffen und zum Gegenstand mehr oder weniger ausführlicher theoretischer Erörterungen gemacht. Mit der Unterdrückung der sogenannten Demokratiebewegung von 1989 hat die Beschäftigung mit den Menschenrechten allerdings neue, bis dahin unbekannte Ausmaße angenommen. Um die Angriffsfläche westlicher Kritiker zu reduzieren sowie den westlichen Dialogpartnern argumentativ auf Augenhöhe zu begegnen, ist die chinesische Regierung dazu übergegangen, die Auseinandersetzung mit den Menschenrechten, vor allem im akademischen Bereich, nicht nur zuzulassen, sondern ausdrücklich zu fördern. Infolge dieser Entwicklung geriet das Konzept der Menschenrechte zunehmend in den Blickpunkt der chinesischen Gegenwartsphilosophie, wo es derzeit eine beobachtbare Eigendynamik entfaltet.
Dr. Philippe Brunozzi möchte klären, welche Funktion die Menschenrechte im Kontext sich auflösender kollektiv verbindlicher Moralsysteme auf nationaler Ebene haben, ob bzw. inwiefern aus den Menschenrechten bestimmte rechtliche Ansprüche abgeleitet werden können, wie die normative Autorität der Menschenrechte begründet wird und wie die Menschenrechte im aktuellen chinesischen Diskurs inhaltlich bestimmt werden. Darüber hinaus werden die vertretenen Positionen in ihrer systematischen Struktur ausgewertet und soweit wie möglich für die aktuelle philosophische Menschenrechtsdebatte im Westen fruchtbar gemacht. Auf diesem Wege soll gezeigt werden, wo die Theorien beider Seiten zusammenfinden und sich gegenseitig bereichern können und wo sie auf systematischer und argumentativer Ebene auseinanderdriften. Wo Letzteres der Fall ist, gilt es, ein Verständnis der Unterschiede zu gewinnen und zu klären, welche Bedingungen Menschenrechtstheorien überhaupt erfüllen müssen, um von unterschiedlichen Theoriestilen und -kulturen aus erreichbar zu sein und nicht voreilig als defizitär oder auch überbestimmt kritisiert zu werden.