Die Logik des japanischen buddhistischen Scholastikers Gomyō
Einer der bedeutendsten in chinesischer Sprache verfassten Logiktexte wird erstmals übersetzt und philosophisch erschlossen.
Der japanische buddhistische Scholastiker Gomyō (749?-834) setzte sich in seinen Werken mit Theorien der Schlussfolgerung und Widerspruchsfreiheit auseinander, die ursprünglich von indischen Logikern formuliert worden waren. Dabei benutzte er chinesische Übertragungen und Kommentierungen von Sanskrit-Texten und schrieb selbst auf Chinesisch. Eine seiner einschlägigen Arbeiten, die "Einführung in die Begründungstheorie" ("Lüexian yinming ruzhengli men", jap.: "Ryakken-immyō-nishōri-mon") wird in dem Forschungsprojekt von Prof. Heiner Roetz übersetzt und philosophisch erschlossen. Damit wird einer der bedeutendsten in chinesischer Sprache verfassten Logiktexte erstmals einer breiteren Diskussion zugänglich gemacht.
Das Projekt gliedert sich in einen philologisch-historischen und einen philosophischen Teil. Zu den primär philologisch-historischen Aufgaben gehört die Übersetzung von Gomyōs Text ins Deutsche mit einer parallelen Präsentation von chinesischem Original und deutscher Übertragung und einem historisch-philologischen Kommentar. Allgemein umfasst die philosophische Aufgabenstellung eine Darstellung und Interpretation der Theorie Gomyōs und eine Auswertung der Ergebnisse hinsichtlich der Frage der Kulturunabhängigkeit der Logik. Insbesondere der Frage der Allgemeingültigkeit logischer Grundgesetze unter den Bedingungen konkret kultureller Kontextualisierung, aber auch der Frage der ethisch-politischen Implikationen einer Relativierung der Logik und der möglichen Bedeutung der Ergebnisse der Untersuchung für eine Kritik der Kulturalisierung von Politik wird nachgegangen. Mit der Übersetzung und Bearbeitung des "Lüexian yinming ruzhengli men" wird gezeigt, dass sich die politisch folgenreiche Auffassung, es gebe eine im Vergleich zum Westen andersartige östliche Logik mit der entsprechenden Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten interkulturellen Verstehens und interkultureller Verständigung, nicht aufrechterhalten lässt. In dem Forschungsprojekt geht es also zugleich um die Vertiefung und Erweiterung der Kenntnisse von Logik-Studien und Logik-Theorien ostasiatischer Buddhisten (und damit die Korrektur von Klischees über Ostasien) und um die Formulierung methodologischer Regeln der Interpretation und Erklärung sowie des Umgangs mit anderen Kulturen und ihren Vertretern und Leistungen (Texten, Kunstwerken, Ethiken, Glaubens-, Wissens- und Techniksystemen etc.). Das Projekt erfüllt so ein wichtiges Desiderat auf dem Gebiet der ostasiatischen Ideengeschichte, der allgemeinen Argumentationstheorie und der Theorie interkultureller Verständigung.