Funding Funded Projects Die Rifā’ īya im Irak des 20. Jahrhunderts: Die Rolle von sufischen Genealogien und Heiligenkult in der irakischen Politikgeschichte

Die Rifā’ īya im Irak des 20. Jahrhunderts: Die Rolle von sufischen Genealogien und Heiligenkult in der irakischen Politikgeschichte

Die Rifā’ īya ist ein Sufiorden (Tariqa), der von dem muslimischen Mystiker Ahmed Rifai (1118-1181) gegründet wurde.

Ausgangspunkt dieses Projektes sind zwei Beobachtungen. Erstens: Die politischen Eliten, die die irakische Geschichte im 20. Jahrhundert über weite Strecken prägten, gehörten überwiegend zur Rifā´ī-Familie. Das gilt sowohl für das irakische Offizierskorps, das spätestens ab den 1950er Jahren von Rifā´īs dominiert wurde, als auch die Ba't-Partei, deren Kader ab den 1970ern ausschließlich Rifā´īs waren und vom Anfang ihrer Herrschaft im Irak seit 1968 ihre über Ahmad ar-Rifā´ī auf Muhammad zurückgehende Abstammung (nasab) zur Herrschaftslegitimierung nutzten. Zweitens: Die sunnitische Rifā´īya weist eine große und spezifische Nähe zu den Schiiten auf, die mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und sich sowohl auf Genealogien als auch Lehrinhalte sowie (gemeinsamen) Ritenvollzug bezieht. Die Rifā´īya stellt damit einen Rahmen zur Überbrückung von sunnitisch-schiitischen Unterschieden dar, was mindes¬tens einmal, beim anti-britischen Aufstand 1920, in der irakischen Geschichte des 20. Jahrhunderts bedeutsam gewesen ist.
Dem Forschungsprojekt liegt die Arbeitshypothese zugrunde, dass über das 20. Jahrhundert hinweg soziale und ideelle Beziehungen zwischen den Trägern der Rifā´īya-Bruderschaft und denen säkularer Ideologien im Irak existierten. Es ist davon auszugehen, dass diese Beziehungen zu unter¬schiedlichen Zeiten unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Ziel des Projektes ist es, diesen Wandel zu analysieren und der Frage nachzugehen, wie er sich erklären lässt:
Erstens erfolgt eine diachrone Untersuchung der Rifā´ī-Familiennetzwerke, um besser die Verbindungen und Abgrenzungen der Bereiche „religiöse Spezialisten“ und „Militär“ analysieren zu können.
Zweitens werden die Schriften von Rifā´īs analysiert, primär zu Themen mit Islam-Bezug. Bei der Untersuchung der Ba't -Herrschaft wurden diese Schriften bisher ignoriert, da man unterstellte, dass sich die Ba't-Partei und insbesondere Saddām Husayn rein instrumentell auf religiöse Aspekte (wie z. B. die Abstammung vom Propheten) als Reaktion auf politische Krisen bezogen. Entsprechend wurde davon ausgegangen, dass es sich dabei um Erfindungen v. a. der 1980er und 1990er Jahre handle, die bei der irakischen Bevölkerung keinerlei Legitimität schaffen konnten. Anhand der systematischen Analyse von Quellen von irakischen Rifā´īs mit Islam-Bezug wird diese Sichtweise der Forschung einer kriti¬schen Überprüfung unterzogen.
Drittens werden die Riten und Genealogien (nasab) der Rifā´īya als spezifische religiöse Integrations- und Mobilisierungsmechanismen in den Blick genommen. Dabei werden sowohl die Gedichte und Litaneien der Bruderschaft analysiert als auch anhand von Zeitungsauswertungen die Darstellung von Ritualen der Rifā´īs und der Schiiten mit besonderem Augenmerk auf gemeinsamen sunnitisch-schiitischen Ritenvollzug untersucht.
Das Fallbeispiel Irak könnte es ermöglichen, ein differenzierteres Modell des sich über das 20. Jahrhundert hinweg wandelnden Verhältnisses von Religion und Politik in den Staaten des Nahen Ostens zu erarbeiten, das die Politikgeschichte in diesem Zeitraum besser erklären kann als vom Säkularisierungsparadigma beeinflusste Modelle.

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