Die Ukraine als Palimpsest: deutschsprachige Literatur und ukrainische Welt von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Das Projekt behandelt das Bild der Ukraine in der deutschsprachigen Literatur.
Das Projekt behandelt das Bild der Ukraine in der deutschsprachigen Literatur, d. h. es untersucht die mit der ukrainischen Thematik verbundenen Images und Stereotype, die die deutschsprachige Gegenwartsliteratur von den früheren, (post-)habsburgischen und (post-)russisch-sowjetischen Rezeptionstraditionen übernommen hat. Als Anfangspunkt für die Rekonstruktion dient die Mitte des 19. Jahrhunderts, da damals auf den dort unter der Habsburger Krone stehenden Territorien Galiziens und der Bukowina die Enklaven der deutschsprachigen Literatur entstanden. Den Begriff »ukrainische Welt« versteht Prof. Voloshchuk dabei als Bezeichnung des politisch-kulturellen Raumes, der sich in den Grenzen der heutigen Ukraine befindet. Es werden also die Grenzen der Ukraine von heute in die Vergangenheit, in der das Territorium der Ukraine verschiedenen anderen multikulturellen Staaten angehörte, projiziert, um diese multinationale und plurikulturelle Dominante sichtbar zu machen, die den Darstellungen der ukrainischen Welt in der deutschsprachigen Literatur innewohnt. Mit der Metapher des »Palimpsests« fasst Prof. Voloshchuk diese nachhaltige Verflechtung von unmittelbarer Fixierung ukrainischer Realien und Elementen verschiedener rezeptiver Traditionen zusammen.
Ziel ist es, die in verschiedenen Modi der literarischen Ukraine-Rezeption verankerten Konstrukte zu umreißen und anhand von repräsentativen fiktionalen und auch nichtfiktionalen Texten die Spezifik der Kartierung, Konzeptionalisierung und ästhetischen Inszenierung der ukrainischen Welt als eines »kulturellen Anderen« in der deutschsprachigen Literatur zu verdeutlichen und die bedeutendsten Entwicklungstendenzen der deutschen literarischen Rezeption der Ukraine von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute zu ergründen. Dafür geht sie folgenden drei Fragen nach: Welche Konstrukte des ukrainischen (Kultur-)Raumes und welche ästhetischen Strategien dominierten in verschiedenen Etappen die deutsche literarische Ukraine-Rezeption? Welche Auto- und Heterobilder sind für die Darstellungen der literarischen Welt in verschiedenen rezeptiven Traditionen charakteristisch? Wie beeinflussen diese Traditionen die Ukraine-Bilder in den Texten deutschsprachiger Autoren der Gegenwart?
Zum empirischen Material gehören sowohl rein fiktionale als auch nicht-fiktionale deutschsprachige Texte – z. B. Reiseberichte, Autobiographien, Erinnerungen, Tagebuchnotizen –, die zum einen von Schriftstellern stammen, die auf den Territorien der heutigen Ukraine geboren und aufgewachsen sind, zum anderen von Autoren, für die die Ukraine als ein fremdes Land galt bzw. gilt.
In der ersten Etappe werden repräsentative Werke für die Textanalyse ausgewählt und die theoretisch-methodologischen sowie historisch-kulturellen Ansätze der Forschung umrissen. In der zweiten Etappe ist geplant, in drei Teilen – Randgebiete der Imperien (ca. 1850–1914), Grenzland (1914–1945) und Traum(a)land (1945–1991) – die grundlegenden Konstrukte der ukrainischen Welt in den (post-)habsburgischen und (post-)russisch-sowjetischen Traditionen bis 1991 zu untersuchen, und in der dritten Etappe, die Rezeption der ukrainischen Welt in der Gegenwartsliteratur Deutschlands zu ermitteln.