Genealogie der Selbstführung. Zur Historizität von Selbsttechnologien in Lebensratgebern
Ziel des Projektes ist die Rekonstruktion von Selbstpraktiken in ihrer historischen Entwicklung von den 1920er Jahren bis heute anhand von Lebensratgeberbüchern.
Lebensratgeber sind Anleitungen zur Selbstführung. Sie bieten Techniken und Handlungsaufforderungen, die die Veränderung des eigenen Lebens zum Ziel haben: sowohl die Verwandlung der Persönlichkeit, als auch häufig die Neugestaltung von Arbeit, gesellschaftlichem Status oder persönlichen Nahbeziehungen. Dazu werden psychische, soziale und materielle „Ressourcen“ erschlossen und für oft recht plakativ vorgegebene Lebensziele nutzbar gemacht. Der den Ratgebern zugrunde liegende moderne, aufklärerische Imperativ, sich nicht fremdbestimmen zu lassen, wird dabei, historisch unterschiedlich, überführt in einen Imperativ der Lebensplanung, Lebenssteigerung und Selbstverwertung. Zudem fungieren sie als „Seismographen“ dafür, wie Glück, Erfolg und Leistung gesellschaftlich vorgestellt und konstruiert wird. Sie machen ferner transparent, wie sich insbesondere die Praktiken der Selbstführung im 20. Jahrhundert verändert haben.
Vor diesem Hintergrund widmet sich das Projekt den historischen Auseinandersetzungen um Selbstbestimmung, Selbstbestimmungstechniken und -strategien in Lebensratgeberbüchern des 20. Jahrhunderts mit dem Ziel, in historisch-soziologischer Grundlagenforschung ein Textkorpus von Lebensratgebern zu erstellen. Dabei werden viele Quellen, besonders die frühen der 1920er, aber auch der 1960er Jahre, erstmals für die Forschung auf diesem Gebiet systematisch aufbereitet. Ein weiteres Ziel besteht in der Erweiterung der bestehenden Gouvernementalitätsstudien. Während sich klassische gouvernementale Untersuchungen mit modernen Institutionen beschäftigen (Psychiatrie, Militär, Schule, Gefängnis usw.), wird hier die Selbstführung außerhalb solcher institutioneller Arrangements untersucht, denn gerade die Freiheiten und Möglichkeiten des Individuums bilden in modernen Gesellschaften den Ausgangspunkt für Selbstführung und Selbststeigerung. Bislang gibt es keine vergleichbare diskursanalytisch-gouvernementale Untersuchung der Selbstführung in ihrer historischen Spezifität.