Grundbegriffe der Literaturwissenschaft als Textwissenschaft
Prof. Hempfer erarbeitet eine Monographie zur Literaturtheorie.
Die Entwicklung der Literaturwissenschaft war in den letzten Jahrzehnten gleichermaßen durch eine Ausweitung der Gegenstandsbereiche (durch die Einbeziehung ‚nicht-literarischer’ Texttypen und Subsumierung von Artefakten wie Bildern, Filmen usw. unter den Begriff ‚Text’) wie durch eine breite Ausdifferenzierung methodischer Ansätze geprägt. Angesichts dessen konturiert Prof. Klaus W. Hempfer vom Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin den Kernbereich der Literaturwissenschaft als Disziplin theoretisch klärend – als Voraussetzung und Grundlage von Interdisziplinarität. Dafür wird eine Monographie zu Grundbegriffen der Literatur- als Textwissenschaft entstehen, die den aktuellen Forschungsstand zusammen- und weiterführt.
Das Gesamtfeld ‚Literaturtheorie’ gliedert Prof. Hempfer in sechs Teiltheorien, die für die Disziplin konstitutiv und unabdingbar sind. Die Teiltheorien werden jeweils um Konzepte zentriert werden, die seit den Anfängen von Poetologie und Rhetorik in der Antike Aspekte systematischer Beschäftigungen mit der Literatur waren:
- Interpretation: Da sich Fragen der Hermeneutik weit über die Literaturwissenschaft hinaus stellen, wird hier nach der Spezifik einer literaturwissenschaftlichen Hermeneutik gefragt. Ziel einer solchen Hermeneutik ist die ‚Konstruktion der historisch idealiter möglichen Bedeutung’ eines Textes, wobei ‚Konstruktion’ darauf verweisen soll, dass es nicht lediglich um die Wiederholung historisch wahrgenommener Bedeutungen geht, und ‚historisch möglich’ darauf, dass die eruierten Bedeutungen im Rahmen der Wissensordnungen der Textentstehungszeit konzipier- und verstehbar sein müssen.
- Fiktion: Seit Aristoteles stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von ‚Fiktion’ und ‚Literatur’ und danach, ob oder wie sich ‚literarische Fiktion’ von anderen Formen des Fingierens unterscheide (und gerade die Forschung der letzten Jahre reflektierte kontrovers über Fragen der literarischen Fiktionalität). Prof. Hempfer schlägt u.a. vor, ‚Fiktionalität’ und ‚Faktualität’ als Prototypen zu begreifen, zu denen konkrete Texte mehr oder minder deutliche Ähnlichkeiten unterhalten können, so dass sie jeweils mehr oder weniger fiktional bzw. faktual sind.
- Gattung: Hier tritt Prof. Hempfer für die Unabdingbarkeit einer literaturwissenschaftlichen Gattungstheorie als ‚Reflexionsort’ der historisch divergenten Gattungspoetiken und für eine Auffassung von Gattungen als Textgruppenbildungen ein, für deren Beschreibung sich Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit oder ebenfalls der Prototypenbegriff eignet.
- Epoche: Da Periodisierungsfragen alle historischen Disziplinen beschäftigen, werden hier wiederum die Bedingungen und Möglichkeiten einer spezifisch literaturwissenschaftlichen Epochenbildung ermittelt. Wie schon in früherer Forschung betont, weist Prof. Hempfer noch einmal darauf hin, dass ‚Zeitraum’ und ‚Epoche’ zu unterscheiden sind, und will Epochenbegriffe als Konstrukte ansehen, die – jeweils innerhalb bestimmter Zeiträume – den Status synchroner Sinnsysteme mit temporärer und / oder sektoraler Dominanz haben.
- Intertextualität und Intermedialität: Die Intertextualitäts- und Intermedialitätsdiskussion greift Fragestellungen auf, wie sie etwa unter den Gesichtspunkten des Vergleichs der Künste oder ihrer „wechselseitigen Erhellung“ seit Jahrhunderten thematisiert wurden. Die neue Begrifflichkeit erlaubt jedoch, entsprechend präzisiert, Differenzierungen und eine z.T. angemessenere Konturierung der je historischen Bedingungen des Textverstehens als die historische Begrifflichkeit selbst. Dafür ist es allerdings notwendig, zwischen der Relation von Einzeltexten (Intertextualität im engeren Sinne) und Systemreferenz (etwa Bezüge auf Gattungsmuster) bzw. traditioneller Quellen- und Einflussforschung zu unterscheiden. Prof. Hempfer entwickelt ein Repertoire der potentiellen Funktionen intertextueller Bezüge. Hinsichtlich der Intermedialitätsdiskussion plädiert er für einen eingeschränkten Intermedialitätsbegriff, der die Bezugnahme von einem Medium auf ein anderes meint und sich damit von Medienkombination (= Plurimedialität) und Medienwechsel unterscheidet.
- Performanz und Performativität: Zunächst wird das Theoriefeld rekonstruiert – das aus verschiedenen vielfältig verknüpften Teiltheorien zu bestehen scheint – und dann gezeigt, welche Entwicklungen in den Performanz- und Performativitätstheorien Anschlussmöglichkeiten für die literaturwissenschaftliche Theoriebildung darstellen könnten.
Das Schrifttum zu den sechs Teiltheorien wird von Prof. Hempfer möglichst vollständig erfasst und systematisch im Hinblick auf die jeweils zentralen Problemkomplexe ausgewertet werden. Besonders fokussiert wird der Zeitraum seit Ende der 60er Jahre und hier wiederum die Publikationen der letzten beiden Jahrzehnte, doch werden im Einzelfall auch früher erschienene Arbeiten einbezogen.
Wie in anderen seiner Forschungsarbeiten will Prof. Hempfer mit der Monographie eine Vermittlung von Theoriebildung und objektspezifischer Forschung leisten und die grundsätzlich verfehlte Entgegensetzung von ‚Theorie’ und ‚Geschichte’ auch in der Literaturwissenschaft überwinden helfen.