Funding Funded Projects Kommentierte Edition der Briefe Richard Heinzels an Wilhelm Scherer

Kommentierte Edition der Briefe Richard Heinzels an Wilhelm Scherer

Obwohl Richard Heinzel vielleicht einer der bedeutendsten österreichischen Altgermanisten des 19. Jahrhunderts war, ist er in der Wissenschaftsgeschichte der Germanistik weithin vergessen.

Richard Heinzel (geb. 1838 in Slowenien) studierte Germanistik und Klassische Philologie in Wien, arbeitete zunächst als Lehrer und zeitweilig als Hofmeister einer Fürstenfamilie in Rumänien und lehrte dann 1873-1905 Germanistik an der Universität Wien. Dort prägte er die Fachgeschichte u. a. mit der Heranbildung weiterer bedeutender Germanisten wie August Sauer, Erich Schmidt, Rudolf Meringer, Samuel Singer, Oskar Walzel, Carl von Kraus. Heinzels eigene akademische Laufbahn wurde maßgeblich gefördert von seinem Lehrer Wilhelm Scherer, eine der zentralen Gründerfiguren der Germanistik im 19. Jahrhundert. Scherer und Heinzel verbanden übereinstimmende wissenschaftliche Ansichten – etwa ihr Positivismus – und eine Freundschaft, die sich u. a. in Form ihrer Korrespondenz von 1859 bis zu Scherers Tod 1886 äußerte.
Ziel des Projekts ist eine kommentierte Erst-Edition der Briefe Heinzels an Scherer samt einer Darstellung seiner wissenschaftshistorischen Position. Zu edieren sind 353 Briefe und Karten aus dem Scherer-Nachlass, zudem sieben zufällig überlieferte Korrespondenzstücke Scherers. Heinzels gesamter Nachlass ging im Zweiten Weltkrieg verloren; nicht zuletzt deshalb ist er als Person und Gelehrter trotz seiner bis ca. 1920 breit aner¬kannten Bedeutung heute nicht einmal in fachgeschichtlicher Forschung präsent.
Die Briefe enthalten Informationen zu Heinzels Herkunft, seiner mentalen Prägung und politischen Orientierung, seiner Biographie inklusive der Station als Fürstenerzieher, seiner Ausbildung, akademischen Laufbahn und zur Werkgeschichte mit zahlreichen Publikations- und Editionsprojekten, zu Lebensführung (Finanzen, Geselligkeit, Reisen, Sport, Lektüren), intellektuellen und fachlichen Vernetzung, akademischen Aufgaben sowie seinen Stellungnahmen zur Fachentwicklung und Zeitgeschichte etc.
Insbesondere bilden die Schreiben eine Grundlage, um Heinzels Stellung im germanistischen Panorama des 19. Jahrhunderts klarer zu ermessen. Anders als die auf das »germanische Altertum« konzentrierte deutsche Germanistik orientierte sich sein Forschungskonzept für die alt- und mittelhochdeutsche Literatur an der lateinischen Tradition des Mittelalters und der Romania. Er forderte eine Quellenforschung und Kontextualisierung, die erst im 20. Jahrhundert zum Paradigma wurde. Vergleichbar innovativ – bzw. in den Augen der Zeitgenossen sogar revolutionär – war seine Auffassung der Literaturhistorie als Kunstgeschichte der Poesie, d. h. ihres Stils und ihrer literarischen Formen. In Studien zur isländischen Saga und zum mittelalterlichen Drama konzipierte Heinzel ein Beschreibungsprogramm literarischer Gattungen als möglichst umfassende Klassifikation nachweislicher ästhetischer Text-Merkmale, das auf Analyseinstrumentarien des 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere die Narratologie, vorausweist. Schließlich können anhand von Heinzel exemplarisch Unterschiede der deutschen und österreichischen Germanistik herausgearbeitet werden. Während die reichsdeutsche Germanistik historistisch und von der nationalen Idee letztlich politisch geprägt war, entwickelte sich im Nationalitätenstaat Österreich ein universalistisch auf Integration zielender Positivismus, den Heinzel als einer der dezidiertesten Empiriker und zugleich begeisterungsfähig unverbissen vertrat.

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