Nokhem Shtif and the Quest for Yiddishland: The Revival of Yiddish Culture in the Early Soviet Union
Mit dem sogenannten „Jiddischismus“ strebten osteuropäische Juden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nach kultureller wie national-politischer Autonomie.
Die „jüdische Kulturrenaissance“ in Osteuropa ist international im Kontext von Anerkennungs- und Autonomiebestrebungen auch anderer Minderheitenkulturen seit dem späten 19. Jahrhundert zu sehen. Mit dem sogenannten „Jiddischismus“ strebten osteuropäische Juden dabei in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nach kultureller wie national-politischer Autonomie und konzipierten beides emphatisch unter dem Vorzeichen des Jiddischen als Sprache jenes erhofften Gemeinwesens. Eine Schlüsselfigur dieser Bewegung war Nokhem Shtif (1874-1933). Nokhem Shtif war als politischer Aktivist im Jahr 1903 Mitbegründer der jüdisch-sozialistischen Gruppe Vozrozhdenie (Renaissance) und 1906 der jüdischen Sozialistischen Arbeiterpartei in Kiew. Er arbeitete als Journalist, gab jiddische Texte heraus, wirkte als Kultur- und Sprachtheoretiker und Übersetzer ins Jiddische. Während des Ersten Weltkriegs war er in St. Petersburg für jüdische humanitäre Organisationen aktiv. In den Jahren 1920-22 lebte er im Exil in Berlin. 1925 initiierte und begründete er das YIVO (Jüdisches Wissenschaftliches Institut) in Vilnius. Ab 1926 war er für die Jüdische Abteilung der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kiew tätig.
Obwohl in dem aktuellen, dichten Forschungsaufkommen zur jüdischen Kulturrenaissance immer wieder auf Shtifs Bedeutung für diese Bewegung hingewiesen wird, fehlen sowohl eine Aufarbeitung seiner Rolle darin als auch Ausgaben seiner Werke.
Im Rahmen des Projekts sollen deshalb drei Publikationen erarbeitet werden: eine englisch-jiddisch-russisch dreisprachige kommentierte Ausgabe von Shtifs bedeutendsten Schriften mit einer Bio-Bibliographie auf dem aktuellen Forschungsstand; eine Monografie, die seine – Sprachen und nationale Grenzen übergreifende – Rolle als Vermittler zwischen westlicher, bürgerlich-hebräischer, jiddischer und sowjetisch-sozialistischer Kultur herausarbeitet; einen Sammelband mit Beiträgen eines internationalen Workshops zur kulturellen Renaissance osteuropäischer Minderheiten, zentriert um Shtif und die „Jiddischismus“-Bewegung im damaligen Polen und in der Sowjetunion vor dem Zweiten Weltkrieg. Das Projekt als Ganzes soll Shtifs geistigen Werdegang nachzeichnen und entlang seiner Biographie die Hauptmerkmale und die Entwicklung seines „Jiddischismus“ konturieren.