Religion und Sozialismus? Optionen in der SBZ und den frühen Jahren der DDR am Beispiel des Gefängnisseelsorgers Hans-Joachim Mund
Hans-Joachim Mund (1914-1986) war als evangelischer Theologe, SED-Mitglied und Volkspolizei-Kommandeur in politischen Haftanstalten der DDR als Seelsorger tätig.
Prof. Albrecht-Birkner möchte mit diesem Projekt einen Beitrag zur Erforschung der deutschen Geschichte der späten 1940er und der 1950er Jahre leisten. Genauer geht es um das Verhältnis von Religion und Sozialismus in den Scharnierjahren der SBZ und in der frühen DDR, in denen sich der dezidiert antichristliche Grundzug der SED- und Staatsführung der DDR erst herausbildete, so dass in dieser Hinsicht anfangs offenbar noch Optionen bestanden, die retrospektiv überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden.
Der Zugriff erfolgt über den evangelischen Theologen Hans-Joachim Mund (1914-1986), der als SED-Mitglied in den späten 40er Jahren für Kirchenfragen an leitender Stelle im Zentralsekretariat der SED und von 1950 bis 1959 als beim Innenministerium angestellter Volkspolizei-Kommandeur als Seelsorger in den politischen Haftanstalten der DDR tätig war. Mund exemplarisch in den Fokus der Untersuchung zu rücken, ist insofern ein naheliegender Zugang, als seine Entwicklung für den sich erst herausbildenden dezidiert antireligiösen Grundzug des DDR-Sozialismus geradezu symptomatisch ist. Zugleich ist er aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zur Partei- und Staatsführung und seiner auch kirchlicherseits weitgehend mit Kritik und Skepsis verfolgten Seelsorgetätigkeit in staatlichem Auftrag ein prominenter Protagonist des sich mit dem modifizierenden Verhältnis des Sozialismus zur Religion ebenfalls spannungsvoll modifizierenden Staat-Kirche-Verhältnisses. Dies betrifft auch das Verhältnis von gesamtdeutscher EKD zur Kirche in der DDR und die Etablierung des Ministeriums für Staatssicherheit als Institution mit eigenem Machtmonopol und zunehmend unmittelbarem Zugriff insbesondere auf den politischen Strafvollzug in der DDR.
Im Rahmen des Forschungsprojektes werden folgende Arbeitsschwerpunkte gesetzt:
- die Untersuchung der Gefangenenseelsorgepraxis Munds;
- die Kontextualisierung von Munds Amtsverständnis und -praxis als Gefängnisseelsorger mit der biographisch bedingten religiös-sozialistischen, bekenntniskirchlichen und hochkirchlichen Prägung in der NS-Zeit;
- die Rekonstruktion von Munds Dienstantritt als Gefängnisseelsorger 1950 als Schlüsselsituation des Zusammenspiels von kirchlichen und staatlichen Kräften sowie Munds eigenen Idealen und Interessen;
- die Untersuchung kirchlicher und staatlicher Reaktionen auf Munds Seelsorgetätigkeit von 1950 bis 1959 einschließlich der sich aus dem Agieren der verschiedenen Seiten ergebenden Dynamiken und der Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit in diesem Prozess sowie
- die Verortung von Munds Seelsorgetätigkeit in der Geschichte der evangelischen Kirche der frühen DDR, speziell der Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses, der Geschichte der evangelischen Gefängnisseelsorge und der Rolle der religiösen Sozialisten.