Tamasese Lealofi, die Samoa-Völkerschauen und der Ethnographica-Handel der Gebrüder Marquardt. Eine Untersuchung zur Eigen- und Fremddarstellung von Samoanern in Deutschland während der deutschen Kolonialzeit in Samoa
Bei sogenannten „Völkerschauen“ wurden Menschen aus fremden Kulturen im Zoo oder im Zirkus sowie auf Jahrmärkten, Volksfesten, in Varietés und auf Gewerbe- und Kolonialausstellungen in möglichst naturgetreuer Kulisse präsentiert.
Sowohl das Populärmedium der Völkerschauen als auch ethnologische Museen mit ihren Sammlungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren jeweils auf ihre Weise bestrebt, „Charakteristisches“ der von ihnen präsentierten Kulturen und Ethnien darzubieten. Organisatoren von Völkerschauen betätigten sich häufig gleichzeitig als Sammler und Händler von Ethnographica und waren bemüht, sowohl einem nach Unterhaltung strebenden Massenpublikum als auch ihrer akademischen Klientel zu genügen. Die für die Völkerschauen angeworbenen Menschen aus außereuropäischen Ländern verfolgten hingegen eigene Ziele und Strategien, wenn sie sich für eine Reise nach Deutschland rekrutieren ließen.
Ausgehend von der Samoa-Sammlung des Museums für Völkerkunde München wird dieses Spannungsfeld am Beispiel der fünf von den Brüdern Fritz und Carl Marquardt zwischen 1895 und 1914 organisierten Samoaner-Völkerschauen und der in ihrem Rahmen erfolgten Deutschlandreise eines der höchsten samoanischen Titelträger, Tamasese Lealofi, sowie der von Carl Marquardt an Museen verkauften Sammlungen untersucht.
Das geplante Projekt gliedert sich in drei Hauptphasen:
Zunächst werden Vorbereitung, Durchführung und Rezeption der Samoaner-Schauen und ihrer europäischen Tourneen rekonstruiert, die von den Marquardt-Brüdern erworbenen Samoa-Sammlungen in deutschen Museen erhoben sowie die Reisevorbereitungen Tamaseses und seine Audienzen beim deutschen Kaiser und bayerischen Prinzen nachgezeichnet. Der nächste Untersuchungsschritt gilt den innersamoanischen Implikationen: Neben den Verflechtungen der Marquardt-Brüder in die Struktur der deutschen Handelsniederlassung (später: Kolonialverwaltung) und deren Interessen an Samoaner-Schauen in Deutschland werden hier vor allem die indigenen Sichtweisen der beteiligten Samoaner mittels Archivmaterial und Interviews mit Nachfahren rekonstruiert. Eine abschließende Analyse wird die durch die Völkerschauen an das Publikum vermittelten, die durch die Objektauswahl der Marquardtschen Ethnographica in den Sammlungen repräsentierten sowie die von Tamasese und den anderen samoanischen Akteuren aktivierten Bilder von Samoanern vergleichen.