Untergrundbriefmarken als Kommunikationsmittel der polnischen Opposition in den 1980er Jahren: Erforschung, Erschließung und Edierung
Die Untergrundbriefmarken stellten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Unterstützung oppositioneller Tätigkeiten dar.
Nach Verhängung des Kriegsrechts in der Volksrepublik Polen im Dezember 1981 existierte die verbotene Gewerkschaft Solidarność im Untergrund weiter und konnte sich trotz verschärfter Repressionen als Sammelbecken der Opposition etablieren. Das Überleben der Opposition war davon abhängig, dass das Bewusstsein für die Ziele bei den Mitgliedern aufrechterhalten und die unterschiedlichen oppositionellen Gruppierungen integriert werden konnten. Zu diesem Zweck sind Untergrundbriefmarken von unterschiedlichen Gruppierungen aufgelegt worden. Zwar waren sie gestalterisch an konventionelle Briefmarken angelehnt, doch hatten sie keine postalische Funktion. Stattdessen fungierten sie als eine Art Spendenbescheinigung, wobei der Verkaufserlös den Opfern staatlicher Repression oder oppositionellen Aktivitäten zugute kam. Zudem hatten sie eine repräsentative und kommunikative Funktion und förderten darüber hinaus den identitätsstiftenden Zusammenhalt höchst unterschiedlicher Gruppierungen. 2.000 bis 3.000 unterschiedliche Motive kursierten in Tausenderauflagen im unzensierten Publikumsverkauf, der in ein-schlägigen Zeitschriften angekündigt wurde. Sie zeigen die von der offiziellen Informationspolitik tabuisierten oder verfälschten Themen, darunter den Aufruf zum Wahlboykott, die Forderung nach der Freilassung politischer Gefangener, aber auch religiöse Motive in Anspielung auf die Ermordung des Priesters Jerzy Popiełuszko, und historische Themen, wie den Hitler-Stalin-Pakt, als Hinweis auf die Kontinuität staatlicher Fremdherrschaft.
Um die kommunikativen und visuellen Funktionen der Un-tergrundbriefmarken erstmals eingehend zu erforschen, möchte Prof. Susanne Schattenberg folgende Thesen verifizieren: Die Bildmotive transportierten die politische und kulturelle Verortung ihrer oppositi-onellen Herausgeber und hatten eine identitätsfördernde und integrierende Bedeutung. Das Medium Untergrundbriefmarke stellte den Alleinvertretungsanspruch des sozialistischen Systems in Frage, indem die Marken u. a. mit Aufschriften wie beispielsweise "Untergrundpost", "Feldpost" oder "Unabhängige Post" auf historische Vorbilder verwiesen. Die Untergrundbriefmarken verbreiteten die Bildmotive in Form von ikonischen Abbreviaturen, wobei unterschiedliche visuelle Traditionen aufgegriffen wurden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Symbolen und "Schlagbildern" (Aby Warburg), nach den ikonographischen Variationen der unterschiedlichen Herausgeber und der Auseinandersetzung mit der Ikonographie offizieller Briefmarken.
Da schriftliche Zeugnisse über Untergrundbriefmarken rar sind, werden Interviews mit Akteuren durchgeführt und das Zusammenwirken von Wort und Bild auf den Marken anhand von bild-, text- und diskursanalytischen Methoden untersucht. Es wird geprüft, inwieweit die spezifischen Eigenschaften eines visuellen und kommunikativen Mediums die oppositionelle Bewegung widerspiegeln. Parallel dazu soll der rund 2.000 Exemplare umfassende Bestand an Untergrundmarken, den die Forschungsstelle Osteuropa in Bremen zusammengetragen hat, aufge-arbeitet und mit einem Index versehen werden (Ikonographie, Personen, Orte, Körperschaften).