Was ändern kommunale Unternehmen an der lokalen Demokratie? Eine Untersuchung über die Auswirkungen der Organisationsprivatisierung hinsichtlich einer öffentlichen Kontrolle der Daseinsvorsorge in Deutschland, Frankreich und Spanien
Was ändern kommunale Unternehmen an der lokalen Demokratie?
Im Rahmen des Projektes wird untersucht, inwiefern sich Entscheidungsstrukturen auf kommunaler Ebene durch eine Organisationsprivatisierung ändern und dabei das einzelne Gemeinderatsmitglied seinem demokratischen Kontrollauftrag nachkommen kann.
Anders als bei der lange Zeit im Mittelpunkt der Privatisierungsforschung stehenden materiellen Privatisierung und der öffentlich-privaten Kooperation im Rahmen von Public-Private-Partnerships kommt es bei der Organisationsprivatisierung nicht zu einer Veräußerung von öffentlichem Eigentum an Private. Vielmehr handelt es sich um eine Ausgründung von Dienstleistungen aus dem Kernbereich der Verwaltung auf ein juristisch eigenständiges Unternehmen in Form einer GmbH oder AG. Damit ändert sich die Rechtsform von öffentlich zu privat, die Besitzverhältnisse bleiben aber unberührt. Diese formelle Privatisierung ist ein vermehrt angewandtes Modell, das auf kommunaler Ebene in vielen Städten bereits dazu geführt hat, dass kommunale Kapitalgesellschaften mehr Mitarbeiter beschäftigen als die Kernverwaltung. In über 80% der deutschen Großstädte erfolgen heute bereits die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser und der Nahverkehr durch kommunale Unternehmen.
Trotz der vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten vermehrt auftretenden Organisationsprivatisierung ist deren wissenschaftliche Betrachtung aus demokratietheoretischer Perspektive bisher unzureichend. Diese Lücke will Dr. Carsten Herzberg vom Institut für Gesellschafts- und Politikanalyse der Universität Fankfurt am Main mit seinem Projekt schließen, indem er die Motive für eine Organisationsprivatisierung, den Umfang der Öffnung des Unternehmens und insbesondere die verbleibenden Kontrollmöglichkeiten der öffentlichen Hand untersucht. Letztere werden in der Forschung bisher uneinheitlich beurteilt. Während die Hypothese der Instrumentalfunktion davon ausgeht, dass der ursprüngliche demokratische Erörterungsprozess weiterhin erhalten bleibt, nimmt die hier vertretene Oligarchisierungshypothese an, dass für einen Großteil der zur Kontrolle der Verwaltung berufenen Ratsmitglieder durch die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf öffentliche Unternehmen Kontrollinstrumente weitgehend verloren gehen. Schließlich werden kommunale Unternehmen in privater Rechtsform von einem Aufsichtsrat kontrolliert, zu dem, anders als bei den Ausschüssen des Gemeinderates, nur Ratsmitglieder mit einem entsprechenden Mandat Zugang haben; Ähnliches gilt für das Recht auf Akteneinsicht. Es ist umstritten, ob Aufsichtsratsmitglieder ihre Fraktionskollegen über die Inhalte der Aufsichtsratssitzungen informieren dürfen.
Die Überprüfung dieser Hypothesen zur Veränderung der Entscheidungsstrukturen in der lokalen Demokratie erfolgt im Rahmen des Projektes anhand von Fallstudien, die mit qualitativen Erhebungsmethoden zunächst den kommunalen Wassersektor in Deutschland in den Blick nehmen. Dabei stehen Leitfadeninterviews im Vordergrund, die durch eine systematische Sammlung von Zeitungsartikeln und Dokumenten ergänzt werden. Auf Basis des gesammelten Materials ist zu untersuchen, wie groß die Machtunterschiede zwischen Gemeinderatsmitgliedern mit und ohne Aufsichtsratsmandat sind und welche Erörterungs- und Verhandlungsprozesse bestehen. Welche Spielräume gibt es für eine Öffnung der Strukturen und weshalb – sollte sich die Oligarchisierungshypothese bestätigen – stimmen Ratsmitglieder der Ausgründung von Dienstleistungen zu, wenn dadurch ein Großteil ihres Einflusses verloren geht? Die Untersuchung wird in einem zweiten Schritt auf den Wassersektor in Frankreich und Spanien ausgeweitet, da dort weitreichende Transparenz und Mitsprache zu finden sind. Sind dabei bspw. die Entscheidungsprozesse und Kontrollmöglichkeiten grundlegend anders als in Deutschland bzw. hat der Aufsichtsrat dennoch eine exklusive Stellung? Schließlich erörtert Prof. Herzberg an dieser Stelle auch Optionen des Transfers erfolgreicher Praktiken auf deutsche kommunale Unternehmen.