Privatbibliotheken von Schriftstellern und Gelehrten gelten als zentrale Grundlage für Forschungen nicht nur zu ihrem Werk, sondern auch zu Fragen ihrer Teilhabe an den Wissensdiskursen ihrer Zeit und der Tradierung von Wissen allgemein. Nur in raren, günstigen Fällen aber sind solche Bibliotheken erhalten (etwa für Goethe). Diejenige von Christoph Martin Wieland (1733-1813), einer Zentralfigur der europäischen Aufklärung und eines der belesensten Deutschen des 18. Jahrhunderts, wurde nach seinem Tod verkauft und zerstreut. Doch ist der damalige Bestand in einem Versteigerungskatalog von 1814 belegt, der 1993 bereits in alphabetischer Ordnung bibliographisch erschlossen wurde. Auf dieser Grundlage wird im Wieland-Museum Biberach seit Jahrzehnten Wielands Bibliothek physisch rekonstruiert: Von den versteigerten ca. 3.900 Bänden konnten schon ca. 60 Prozent in auflagegleichen Exemplaren wiederbeschafft werden. Dieses Unternehmen kann jedoch seinen gesamten potentiellen Wert für die heutige Forschung nur durch eine hinzukommende digitale Aufbereitung entfalten.
Deshalb wird im Rahmen dieses Projekts Wielands Bibliothek virtuell rekonstruiert. Aufgebaut werden kann dafür auf die erwähnten Verzeichnisse sowie insbesondere auf den Nachweis der Biberacher Bestände im Katalog des Südwestdeutschen Bibliotheksverbunds; er enthält nur die in Biberach bereits wiederbeschafften Exemplare und bietet keine inhaltliche Erschließung durch Schlagwörter oder Recherchetools und keinen digitalen Zugriff auf die Materialien selbst.
Eine Kenntnis von Wielands Lektürekosmos, wie ihn die virtuelle Bibliotheksrekonstruktion als Pionierprojekt erschließen wird, kann für Forschungen sowohl zu diesem Autor wie zur europäischen Aufklärung von paradigmatischer Bedeutung sein.